Rund eine Woche nach dem Wintersturm Eleanor sind die Aufräumarbeiten in vollem Gange. Auch die Normandie hat es – wegen der Verbindung von starkem Wind und den grandes Marées – an den Küsten schwer getroffen.
Blainville-sur-Mer. Direkt hinter den Dünen haben sich einige Strandkabinen zwischen dem Sand weggeduckt. Improvisierte Bauten aus Eternit und Wellblech, ohne richtige Sanitäranlagen, nichts für die Ewigkeit, keine Schönheiten, keine erhaltenswerte Bausubstanz. Und trotzdem für Viele ihr kleines Stück Paradies, ein Refugium fürs Wochenende oder die Sommerferien. „Le 7e Jour“ – der siebte Tag – steht über einer blau gestrichenen Tür. Ankommen, durchatmen. Ich liebe diesen etwas maroden Charme, das Provisorische, etwas Anarchistische, das diesen Cabanes anhängt. Hier auf der Düne sitzen, einen Rotwein trinken und aufs Meer schauen, müde in den Schlafsack kriechen und eins sein mit den Elementen. Doch die Elemente waren es, die diesem Flecken in der Nacht zum 3. Januar schwer zugesetzt haben. Und so ist der ganze romantische Charme verflogen. Vorne an der Landspitze trennt ein Mann Müll von Verwertbarem, Inventar und Bausubstanz seiner Hütte, die mehr schlecht als recht auf den Resten der Düne thront und wohl nicht zu retten sein wird. Ein paar hundert Meter weiter vorne ist man schon weiter: Die Überbleibsel eines Hüttchens werden in Container verladen und abtransportiert.
Das Land wird zur Beute von Wind und Wellen
In Deutschland hatte dieser Sturm, der zweite des Jahres 2018, einen schier unaussprechlichen Namen. In Frankreich (und auch in Großbritannien) durfte sich die Windsbraut Eleanor nennen. Die Fremde, die Andere meint das und leitet sich vom provenzalischen Aliénor ab. Befremdlich war in der Tat, was Eleanor in weiten Teilen des Landes angerichtet hat. Betroffen waren vor allem die Normandie und der Norden. In Verbindung mit einem hohen Gezeitenkoeffizient und Windgeschwindigkeiten um die 120 km/h knabberte die provenzalische Prinzessin an den Küsten. Mancherorts sind bis zu acht Metern Dünen verschwunden, Häuser wurden unter Wasser gesetzt oder gar sofort zum Raub der Wellen. Eigentlich hätte hier eine komplette Bilanz stehen sollen, doch das würde völlig der Rahmen sprengen. Deshalb nur ein paar Beispiele: In Barneville fielen jenseits der Strandbefestigung weitere Meter Dünen weg, zum Teil ist kein Strandzugang mehr möglich. In St.-Martin-de-Brehal hat die Flut 50 Häuser unter Wasser gesetzt, da die Wellen stärker waren, als die zuvor installierten Barrieren. In Saint-Jean-le-Thomas, zwischen Granville und dem Mont Saint Michel, sind Teile der Strandpromenade in Mitleidenschaft gezogen worden und auch zwei Häuser gelten als Folge des Sturms als unbewohnbar. Glück hatte dagegen Gouville-sur-Mer: Die Riesenwürste, erst im Herbst zum Schutz des fragilen Dünenrestes installiert, haben das Schlimmste wohl verhindert. Trotzdem biss Eleanor an einigen Stellen tiefe Löcher in den Sand und das eintretende Meereswasser setzte die Straße an den Campingplätzen völlig unter Wasser. Ein ähnliches Bild auch in anderen Teilen der Normandie: So ist in Ver-sur-mer (Calvados) ein Damm gebrochen, die Anwohner der dahinter liegenden Häuser mussten evakuiert werden.
Die Bebauung ist ein Teil des Problems
Naturkatastrophen hat es natürlich schon immer gegeben, aber das Problem verschärft sich an den französischen Küsten jährlich und verschlingt Unsummen. Meist ist eine Maßnahme zum Küstenschutz noch nicht einmal abbezahlt, wenn die nächste Investition ansteht. Denn steigende Meeresspiegel und häufigere und heftigere Stürme infolge des Klimawandels begünstigen Erosion und Überschwemmung. Die Bebauung der normannischen Küsten ist dabei Teil des Problems. Denn überall sind – vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg – Küstensiedlungen aus dem Boden geschossen. Zum Teil direkt auf der Strandpromenade oder hinter den immer schmaler werdenden Dünen liegend sind sie nur schwer gegen immer höhere und stärkere Sturmfluten zu verteidigen. Und auch große Städte, wie Dieppe, Le Havre oder Cherbourg sind den Gewalten des Meeres direkt ausgesetzt. Viele Städte und Gemeinden haben deshalb schon zu Restriktionen gegriffen. So darf in bestimmten Bereichen nicht mehr neu gebaut werden. Auch die Erweiterung von Wohnhäusern ist untersagt. Die Hausbesitzer sind angehalten, im ersten Stock ihrer Häuser einen Notausgang zu schaffen – oder Dachfenster einzubauen, damit sie im Fall der Überflutung gerettet werden können. Häuser, die zerstört wurden, dürfen nicht wieder aufgebaut werden. Um die Bestandsbauten zu schützen, werden zum Beispiel – wie in Asnelles sur Mer, Calvados – Pumpen installiert, die einlaufendes Meerwasser in die unter dem Meeresspiegel liegenden Plages wieder absaugen. Oder es werden eben Riesenwürste in Gouville an den Stränden ausgebracht, um die Kraft der Flut zu mindern. Keine Lösung für überall, übrigens, denn die Bausubstanz für Gouvilles Bollwerk stammt von den Stränden der benachbarten Gemeinden, die heftig protestierten, weil sie ihre eigenen Dünen und Dörfer durch den Sandraub gefährdet sahen.
Punktsieg für das Meer
Ein bisschen erscheinen diese Maßnahmen wie der Kampf gegen Windmühlen und im Wettlauf Mensch gegen Meer hat das Meer einmal mehr einen Punktsieg gelandet. Manche Wissenschaftler vertreten deshalb die Ansicht, dass es angesichts des schnell steigenden Meeresspiegels nur eine Lösung gibt: Die Umsiedlung und Renaturierung ganzer Landstriche. Davon wäre nicht nur die normannische Bevölkerung betroffen, sondern auch der Tourismus, denn die bevorzugten Ferienhäuser und Campingplätze liegen eben möglichst direkt am Meer, den Plages.
Das Gesicht der Küste wird sich verändern
Auswirkungen zeigen sich schon jetzt. So wollte die Gemeinde Urville-Nacqueville den Camping Municipal „Les Dunes“ an einen privaten Investor veräußern. Interessenten fanden sich in der begehrten Lage schnell, doch das Gebiet liegt in einer gefährdeten Überschwemmungszone – Erweiterungen und Verbesserungen des Platzes sind damit ein Riegel vorgeschoben, die potentiellen Käufer winkten ab. Im Jahr 2017 betrieb die Gemeinde den Camping deshalb noch einmal selbst, doch seine Zukunft ist ungewiss. Bange Blicke auf den nächsten Sturm dürften auch alle Besitzer der Mobilhomes auf den Campings in Gouville-sur-Mer werfen. Viele wohnen den ganzen Sommer über hier, gehen zum Fischen hinaus aufs Meer und genießen die Abendsonne auf der Terrasse vor ihrem Zuhause auf Zeit. Doch sollte es nicht dauerhaft gelingen, die Dünen zu stabilisieren, könnte schon der nächste Sturm das Schicksal dieser Plätze besiegeln.
Fortsetzung folgt. Leider. Barbara Homolka
Zeitreise: Küstenerosion anschaulich dargestellt
Wer sich dafür interessiert, wie sich das Gesicht des normannischen Küste verändert, sollte sich diese Präsentation mit historischen Karten und Postkarten anschauen. Sehr aufschlussreich und oft erschreckend!
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Marc Hau (Sonntag, 21 Mai 2023 20:20)
Hallo Barbara,
Ich interessiere mich sehr für diese Präsentation mit den historischen Karten, kann mich jedoch nicht für den Dienst registrieren oder anmelden. Hast du mglw. die Präsentation parat und könntest sie mir per E-Mail (marchau@mac.com) senden?
VG,
Marc