Der Winter in der Normandie ist jedes Jahr anders. Mit Tendenz zu mehr Wärme, zu mehr Sturm und zu mehr Frühling. Bei uns im Ort blühen nicht nur die Mimosen, sondern auch die Osterglocken. Seit Ende Januar. In Gouville kämpfen die Arbeiter die Woche vor Ciara damit, die Düne so weit zu stabilisieren, dass sie die nächsten Jahre nicht bricht. In Barneville-Carteret darf die Erweiterung im Jachthafen weiter gebaut werden, auf richterlichen Beschluss. Zwei Momentaufnahmen im Januar und Februar, in Zeiten da viel von Küstenschutz geredet wird.
Der Wind, er bläst
Den Wind, den kennen alle an der Küste der Normandie. Die Erosion, das Knabbern des Meeres am Land, auch. Wasser, wo keins sein sollte. All das gehört zum Winter, zum Meer. Trotzdem, es wird viel dieser Tage über Küstenschutz, über Klimakrise geredet und geschrieben. Auch in der Normandie.
An exponierten Stellen wie in Gouville-sur-Mer weiß man mittlerweile, dass nichts für die Ewigkeit ist. Das Département hat für fünf Jahre genehmigt, den Rest der Düne zur Meerseite hin mit Steinen zu verstärken, um das Durchbrechen der Düne – und somit die Überschwemmung der dahinterliegenden Campingplätze – hinauszuzögern. Kaum ist die Erlaubnis erteilt, rollen die Bagger und Lkw voller Steine an, um zu retten, was zu retten ist: Sturm und Grandes Marées drohen. Unter Hochdruck wird gearbeitet, geschaufelt. Bis zum Schluss.
Langfristig werden andere Lösungen gefunden werden müssen. Neue Plätze für die Eigner der Mobilhomes. Neue Standorte für die Campingplätze? Intelligente Maßnahmen, um das Erodieren der Küsten zu verlangsamen. Seit einigen Jahren empfehlen Wissenschaftler, die Ortschaften weiter ins Landesinnere zu verlegen. Gebaut wird dennoch weiter, möglichst nah am Meer.
Der Müll, er wird getrennt
Nun ist es ja nicht so, dass sich in Sachen Umweltschutz in Frankreich nichts täte. Nein, nein! Haben wir bisher unser Plastik, unser Altpapier und die Kartons zum Container nebenan getragen und in die vorgesehenen Behälter gestopft, so haben wir mit dem 1. Januar ein wirklich revolutionäres Mülltrennungssystem bekommen. Jetzt sammeln wir Plastik und Altpapier in Gelben Säcken, die Herr Macron offensichtlich von einem Staatsbesuch in Deutschland mitgebracht hat. Der Restmüll wandert in eigens ausgegebenen durchsichtigen Säcken – sind die eigentlich DSGVO konform, wenn Nachbar und Müllmann sehen können, was bei mir die Woche übrig blieb? Vorsorglich und deutsch wie wir sind, haben wir eine gelbe Tonne gekauft, damit sich das Gelbe vom Durchsichtigen auch getrennt aufbewahren und auf die Straße tragen lasse. Allein, wir haben den Willen zur Improvisation völlig unterschätzt. Da alle Nachbarn entweder die Tüten ohne Behälter oder alle Tüten in einen gemeinsamen Behälter deponieren, fährt zuerst das Müllauto für den Restmüll durch die Straßen, sackt die Durchsichtigen ein und wirft die Gelben aus der Tonne auf die Straße. Dann kommt ein zweites Fahrzeug und verlädt die Gelben. An Tagen des Sturms wie heute fahren sie dicht an dicht, auf dass ja kein Sack die Flucht ergreifen kann.
Der Sinn des neuen Müllsystems bleibt uns bislang verschlossen. Der Müll wird nicht weniger, es braucht nur mehr Menschen, um ihn einzusammeln. Eine Finanzierung wie über das Duale Systeme gibt es in Frankreich nicht. Die von-Haus-zu-Haus-Sammlung hat eine Privatfirma übernommen und liegt nicht mehr in der Verantwortung der Kommune.Gleichzeitig ist der Presse zu entnehmen, dass sie Grundsteuer in den nächsten Jahren explosionsartig steigen werde.
Restmüll aller Art wird nach wie vor neben den verbleibenden Glascontainern gelagert. In den Ferien dürften die wilden Müllkippen rund um den Ort wachsen, denn die vielen öffentlichen Mülleimer, die bislang für "vacances propres" in unserem Ort sorgten, wurden logischerweise ersatzlos abgebaut. Unser persönlicher Gewinn: wir haben ein Trennungssystem für die Küche angeschafft, das Ben den Zugang zu allem möglichen und unmöglichen Essbarem aus dem Müll verwehrt. Solange er nicht lernt, Schubladen zu öffnen.
Das Dorf, ich liebe es
Wind und Wetter führen zu mancher Beschränkung. Ist der Himmel blau, machen wir ausgedehnte Spaziergänge bis zum Meer. Tobt Weltuntergang 7 vorbei, so wie gerade, drehen wir eine Runde durch den Ort. Die Fixpunkte: Eine kleine Hündin, die sich ängstlich auf ihrem Hof an die Wand drückt. Aber grinst, wenn sie die Collies sieht. Eine ganze Heerschar wilder Katzen. Der Gockel, der das Katzenfutter klaut. Der rote Kater, der einen stillen Dialog mit den Bordern pflegt. Zwei Malirüden, die Ben hasst. Das Ehepaar, das zum Rauchen vor der Tür steht. Mittlerweile ist sogar ein Rest des Tageslichts auf unsere Abendrunde zurück gekehrt. Bald ist der Winter vorbei.
Ins Eckhaus im Lotissement ist ein neuer Nachbar eingezogen. Ich sehe ihn nur Samstagabend, wenn der Rollladen oben ist. Seine Küche ist brombeerrot gestrichen. Er hat eine weiße Angorakatze, sie wohnt im ersten Stock und sitzt am Fenster, wann immer wir vorbeikommen.
Auf den Weiden blöken die ersten Lämmer des Jahres. Auch bei meiner Nachbarin. Mutterschafe, Lämmer und eine Nachbarskatze bilden die Zuschauerkulisse, wenn Idgie und ich im Garten longieren. Der Holunder vorm Haus treibt aus, Weltuntergang 8 verabschiedet sich ins Landesinnere.
Wollte ich je woanders leben?
Das Meer, der Sturm – Ortstermin
Ciara ist Geschichte. Ein letztes Aufbäumen in der Nacht zum 11. Letztendlich weniger schlimm als befürchtet. In Gouville hat alles gehalten, was an Steinen in der vergangenen Woche aufgetürmt wurde. Etwas weiter oben brach die Düne durch, wurde aber eilends mit einem weiteren Steinhaufen wieder repariert*. Und dennoch: Ein großer Teil des Wohnmobilstellplatzes ist zerstört. Dort, wo noch intakte Geotubes lagen und keine Steine hingeschafft wurden, ging das Meer einfach über die Barrieren. Hat sich ein gutes Stück weiter ins Land gefressen, den Untergrund instabil gemacht. Wo ich letzte Woche noch geparkt habe, fehlen jetzt Zaun und die Stromsäulen. Tiefe Risse ziehen sich die Abbruchkante entlang.
Dienstag, 11. Februar, 9 Uhr, Höchststand der Flut, aber nur noch Wind, kein Sturm mehr. Unzählige Schaulustige wollen guggen, ob ihr Gouville hält. Ein paar Menschen stehen direkt am letzten Stück Zaun vor dem Abbruch. Mit Selfiestick. Bis der Sand rutscht, und mit ihm der Stickhalter. Laute Schreie vermischen sich mit dem Tosen der Wellen. Mit vereinten Kräften ziehen sie ihn hoch, laufen sichtlich geschockt zum Campingplatz zurück, der noch ein paar Stürme länger ihr Zuhause sein kann. Wenn alles gut geht.
*Nachtrag, 12. Februar: Neuere Bilder zeigen, dass diese Lösung nicht sehr stabil war, die Behörden sprechen nach wie vor von einer "kritischen Situation".
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Filly (Mittwoch, 12 Februar 2020)
Vielen Dank für diesen interessanten Einblick in den Alltag bei euch an der Küste.
Petra Schulz (Freitag, 15 Mai 2020 20:31)
Hallo, wir fahren seit 38 Jahren nach Gouville. Es ist unser Kraftort. Wir hoffen, dieses Jahr auch wieder unseren Urlaub dort verbringen zu können.
Schreibt doch mal, wie es jetzt momentan aussieht. Unsere französische Freunde gehen selten ans Meer. E-Mail : petraschulz49@web.de
Würde mich freuen, von Euch zu hören.
Bis dann