Cotentin – selbst langjährige Normandie-Reisende wissen oft nicht so genau, welcher Naturraum damit gemeint ist. Oder hötren den Begriff zum ersten Mal, obwohl sie schon seit vielen Jahren hier Urlaub machen. Also: Was genau ist der Cotentin und was ist das besondere daran?
Der Cotentin ist der nördliche Teil des Departments Manche. Wobei die Experten streiten, wo genau die Grenze zu ziehen ist. Geografisch gesehen läuft sie wohl entlang der Linie Lessay–Carentan, also jenseits des ausgedehnten Sumpfgebiets, das heute das Naturschutzgebiet "Parc naturel régional des Marais du Cotentin et du Bessin" bildet. Die Halbinsel ist dieser kleine Zipfel Frankreichs, der so vorwitzig zu uns rüberwinkt. Dieser Teil der der Manche war einst wirklich eine Insel. Nur bei Lessay und Carentan sollen die Menschen trockenen Fußes durch Sumpf- und Marschland gekommen sein. Und als die Wikinger das Land eingenommen haben, konnten sie noch von einer Küste zur anderen durchsegeln. Hat uns zumindest ein alter Bewohner von La-Haye-du-Puits erzählt, der seine Erzählungen über diese Zeit mit einem grollenden "leeeee Viiikiings" begann. Heute werdet Ihr feststellen, dass da nicht mehr viel Schiffbares ist, und an die Wikinger erinnern allenfalls Feste oder ein Ausflugsschiff im Hafen von Carentan. Wo ist sie also hin, die Halbinsel?
Nun, der Mensch hat ihr im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgegegraben. Ab dem 18. Jahrhundert wurden sogenannte Portes à Flots oder Portes à Marèes gebaut. Diese
sind eben so einfach wie genial, verschließen sie sich doch, wenn die Flut kommt und öffnen sich bei Ebbe, sodass das Wasser, inklusive dem Oberflächen- und Regenwasser, wieder abfließen kann.
Mit diesen Port à Flots gelang es, die Sümpfe auszutrocknen und zu Weideland umzufunktionieren. Zumindest über den Sommer funktioniert das gut. Wenn der Winter sehr niederschlagsreich ist, zeigen
die Marais ihr gesamtes sumpfiges Erbe und werden wieder zu einer riesigen Seenlandschaft. Ein unglaubliches Naturschauspiel, nicht nur des Wassers wegen, sondern auch, weil zahlreiche Zugvögel
die Marais als Rastplatz nutzen. Wo Ihr im Winter schöne Ein- und Aussichten auf die "weißen" Sümpfe habt, erfahrt Ihr in der Tour durch die Marais du Cotentin.
Neben dieser streng geografischen Defintion existieren weitere, zum Teil historische und geologische Grenzen. So besagt die historische Defintion zum Beispiel, dass sich Cotentin vom gallo-römischen "pagus constantinus" ableitet. Zu diesem Gebiet gehörte nicht nur der Nord-Cotentin, sondern auch das Land rund um Coutances und Saint Lô. Andere Quellen sprechen von einer Ausdehnung des Cotentin bis kurz vor den Avranchin, also bis vor die Bucht des Mont-Saint-Michel und andere ziehen die Grenze zwischen Cérences, Gavray, Percy und Gouvets. Und heute wird gar der Cotentin oft synonym für das Département La Manche verwendet. Wenn Ihr hier Urlaub macht, werdet Ihr zudem feststellen, dass die Marais des Cotentin als natürliche Wettergrenze fungieren. Wenn Ihr bei strahlendem Sonnenschein von Saint-Germain Richtung Cherbourg fahrt, könnt Ihr fast sicher sein, dass das Wetter in Cherbourg wolkiger, windiger und regnerischer ist.
Also, wo liegt er, der Cotentin? Die Bewohner des Nord-Cotentin, also all jene, die nördlich der Sümpfe leben, bestehen darauf, dass ihr Land der einzig wahre Cotentin ist. Alles andere war ja ursprünglich Wasser – oder Sumpf – oder eben FESTland. Ich selber habe mir angewöhnt, dieser Defintion zu folgen und die Sümpfe des Cotentin einschließlich des nach ihm benannten Naturschutzgebiets mit einzubeziehen. Es scheint mir die logischste aller Defintionen zu sein.
Auch wenn Wellen, Wind und Meer den Cotentin prägen, so ist die Landschaft doch abwechslungsreich wie kaum sonst eine in Europa. ES gibt wilde Klippenlandschaften im Norden, saftige Bocage-Weidelandschaften, ausgedehnte Dünengebiete, Wälder, Sümpfe und echte Moore, ausgedehnte Süßwasser-Seen und die Salzwiesen der Havres. Datwischen finden sich ein paar Hügel, wie der Mont Castre oder der Mont Doville. Und das alles auf engstem Raum! Innerhalb kürzester Zeit wandelt sich die Landschaft, sie ist eine Quintessenz all dessen, was wir an der Normandie lieben.
Trotzdem gilt der Cotentin immer noch als Geheimtipp, zumindest unter Urlaubern aus dem deutschsprachigen Raum. Vor allem Wohnmobilisten und Hundemenschen beginnen diesen Landstrich für sich zu entdecken.
Letztere vor allem deshalb, weil das Leben mit Hund auf dem Cotentin so unkompliziert ist. Hunde gehören für die Einheimischen zum Alltag. Entsprechend präsent sind sie im Straßenbild, in den Vorgärten, auf Märkten, in Restaurants und am Strand. Zwar gibt es für die ausgewiesenen Badestrände an den Plages in der Hauptsaison, im Juli und August, Einschränkungen und Verbote. Aber dazwischen finden Hund und Herr überall fast unberührte, „wilde“ Sandstrände, an denen der Vierbeiner einfach Hund sein darf: Im Sand buddeln, in die Wellen hüpfen und Möwen jagen. Wobei ich anmerken muss, dass Hundeverbote, die dem gesunden Menschenverstand völlig zuwider laufen, leider auch auf dem Cotentin zunehmen. Trotzdem: Außerhalb der Hochsaison teilt man sich die unendlichen Strände meist mit Gleichgesinnten und kann auf die sprichwörtliche Toleranz der Franzosen zählen – entsprechende Rücksichtnahme und ein guter Grundgehorsam des Hundes vorausgesetzt. Die beste Reisezeit für Hunde und ihre Menschen ist ohnehin das Frühjahr, der Herbst und Winter. Das quirlige Treiben der Sommermonate ist dann einer ruhigen Beschaulichkeit gewichen, in der Zwei- und Vierbeiner nahezu alle Freiheiten haben. Ein beliebtes Reiseziel bei Hundehaltern ist der Contentin auch zum Jahreswechsel, da die Franzosen zu Silvester kein privates Feuerwerk abfeuern, sondern lieber mit gutem Essen und Trinken das neue Jahr begrüßen.
Als Zentrum für das entspannte Reisen mit Hund hat sich in den letzten Jahren die Westküste des Cotentin, zwischen St. Germain sur Ay und Portbail, etabliert. Zum einen, weil hier die Sandstrände bei Ebbe, des gewaltigen Tidenhubs wegen, gefühlt erst wenige Kilometer vor der Kanalinsel Jersey aufhören. Hier findet man (fast) immer ein ungestörtes Plätzchen, um mit dem Vierbeiner zu laufen oder zu baden. Zum anderen haben sich viele Ferienhausvermieter auf die vierbeinige Klientel spezialisiert. Die Grundstücke sind ausbruchssicher eingezäunt, liegen nah zum Strand oder in fantastischer Alleinlage auf dem Land. In vielen Häusern sind auch Mehrhundehalter gern gesehene Gäste. Ferienhäuser in Portbail, Denneville, Surville und Lindbergh-Plage zählen zu den beliebtesten Unterkünften für Hundehalter auf dem Cotentin. In den letzten Jahren haben vor allem deutsche Vermieter viel in Ferienhäuser auf dem Cotentin investiert und ihre Unterkünfte speziell auf die Bedürfnisse von Urlaubern mit Hunden zugeschnitten.
Ferienhäuser prägen ohnehin das Bild auf dem ländlichen Cotentin. Massentourismus und Küsten verschandelnde Bettenburgen findet Ihr hier nicht. Die vorhandenen Hotels sind klein und familiär. Zahlreiche Campingplätze und Wohnmobilstellplätze liegen in Strandnähe und ermöglichen einen direkten Blick auf das Meer. Der Cotentin ist nicht nur für den Vierbeiner ein Traum, sondern auch für alle Genießer und Naturliebhaber.
Und zu entdecken gibt es viel in den Natur- und Kulturlandschaften des Cotentin, vieles lässt sich auf einem gemütlichen Spaziergang mit Hund erkunden. Ein Besuch der Märkte mit ihrem üppigen Angebot von frischen Meeresfrüchten und Fisch, Fleisch, Käse, Obst und Gemüse, Cidre und Calvados sind Pflicht – und Hunde können ganz selbstverständlich mit.
Veröffentlicht Januar 2017, ergänzt März 2019