In den Weiler Longuerac habe ich mich in unserem ersten Winter verliebt, auf der Suche nach den weißen Sümpfen, nach kontemplativer Ruhe. Viel mehr gibt es hier auch nicht zu entdecken, auch wenn die Gaststätte mittlerweile wieder bewirtschaftet ist, und der Kajakverleih in den Sommermonaten für bunte Farbkleckse auf dem Wasser, Stimmengewirr und Belebung sorgt. Es bleibt ein verwunschenes Plätzchen.
Longuerac liegt im Herzen des Marschlandes, im Naturpark Marais du Cotentin et du Bessin, und gehört zur Gemeinde Les Moitiers-en-Bauptois, an der der geneigte Urlauber allenfalls vorbeizufahren pflegt. Im Sommer gibt es in der Tat nicht viel zu sehen, ein Fluss, Wallhecken, ein paar Boote, ein paar Angler. Im Winter greift der Sumpf gierig nach dem Land, steigt der Wasserpegel – vorausgesetzt, es regnet genug. Regen ist mittlerweile (im Jahr 2023) zur Mangelware geworden, auch in der Normandie ist es trotz ergiebiger Niederschläge im Herbst, jetzt im Frühjahr schon wieder zu trocken. Im Idealfall aber erstreckt sich die Wasserfläche von Longuerac bis auf die andere Seite des Tals, nach Crosville-sur-Douve oder Picauville.
Longuerac war bekannt für sein rheumatisches Klima im Winter, wenn das Wasser hoch und die Sonne niedrig stand. Der Wind pfiff kalt von Westen durchs Tal (das tut er heute noch), das Leben war beschwerlich. Den Namen verdankt der Ort dem Schlamm. La Raque bezeichnet einen langen, schlammigen Wasserstau, der einst von Fischereibetrieben unterhalten wurde. Longuerac, oder auch "Longrac" oder "Longueracque" genannt, war zudem ein Hafen für die Gabares. Außer den langen flachen Booten bevölkerten Gänsezüchter und Aalfischer das Terrain.
Die Gabares sind typisch für die Marais, mit ihnen konnten Waren durch die flachen Wasserwege transportiert werden. Die Boote waren bis zu 17 Metern lang, drei bis fünf Meter breit. Mit ihnen konnten bis zu 14 Tonnen über die unsteten Wasserwege geschifft werden. Sie wurden mit einem langen Ruder gelenkt, von einem Segel, das unter den Brücken eingezogen wurde, angetrieben. Bei Flaute wurde gezogen, von den Besatzungsmitgliedern oder auch mit Pferden. Die Treidelpfade könnt Ihr noch heute an manchen Kanälen ausmachen. Anfang des 20. Jahrhunderts verschwanden die Gabaren, die Kanäle werden heute nur noch für Hobbypaddler, Jäger, Angler und Ausflugsschiffe genutzt.
Etwas Magisches hat sich der Ort bis heute bewahrt. Im Winter könnt Ihr Euch völlig verzaubern lassen von endlos spiegelnden Wasserflächen. Im Sommer könnt Ihr mit etwas Glück Fächerreiher, Störche und Eisvögel erhaschen, oder Feldhasen und Rehe, die schnell Euren Weg kreuzen.
Mystisch ist der Ort auch wegen seiner kleinen Kapelle, Chapelle Notre Dame de Fatima. Sie geht auf Abbé Lebreton zurück, der viele Stunden seiner Kindheit in dem Weiler an der Douve verbracht hatte. Als die Bomben niedergingen auf den Marais im Sommer 1944 gelobte er, er werde eine Kapelle errichten, wenn die Dörfer seiner Jugend verschont blieben. Er hielt Wort, die Kapelle wurde 1945 aus den Überresten zerstörter Kirchen, wie der Kapelle Saint Martin in Les Moitiers und die Kapelle de la Mare in Teurthéville- Bocage, aufgebaut. Bis heute ist die Chapelle Notre Dame de Fatima eine Pilgerstätte, ein Ort der Einkehr.
Zweiter Anziehungspunkt war bis 2017 die Auberge de l'Ouve, ein beliebter Zwischenstopp auf Rad- und Flusstouren. Dann stand das Ausflugslokal lange Zeit leer, schließlich zum Verkauf. 2022 wendete sich das Blatt zum Guten, ein junges Paar hauchte dem Gebäude frischen Wind ein. Kevin Hauchecorne und Kantita Leangcharoenpong servieren Euch traditionelle normannische Küche – das Fleisch wird auf dem Holzofen gegrillt – mit unverkennbarem mediterranen und thailändischem Einschlag. Der kommt nicht von ungefähr: Koch Kevin hat unter anderem auf Korsika und in Thailand gekocht, wo er auch seine Frau kennenlernte. Normandie trifft Asien: Das ist auch für den Gaumen ein Erlebnis. Mein Tipp: Probiert unbedingt die Chimichuri-Soße zum Essen, die den Gerichten einen exotischen Touch verleiht. Geöffnet ist von Ende April bis Anfang November, unsere beiden Hunde waren kein Problem. Reserviert per Telefon unter +33 (0)2-33-94-89-34 oder per Email: aubergedelouve@outlook.fr.
Regionale Küche lebt von regionalen Zutaten. Das Gemüse bezieht das Restaurant gleich von nebenan. Seit März 2022 bewirtschaftet die junge Landwirtin Sandrine Legardien einen Acker direkt hinter der Auberge. Das Gemüse der Jardins Motelons kultiviert sie in biologischem Anbau. Eine echte Win-win-Situation, denn das Gemüse landet erntefrisch (und klimaneutral) in der Küche der Auberge. Erwerben könnt Ihr das Gemüse ab Hof, mittwochs und sonntags von 14 bis 16 Uhr. Wenn Ihr einen Garten Euer Eigen nennt, bekommt Ihr aber der Saison 2023 auch vorgezogene Gemüsepflanzen.
Den richtigen Appetit für den Einkehrschwung im Restaurant holt Ihr Euch beim Wandern oder Flusswandern. Zu Fuß macht Ihr einen Abstecher in den Wald forêt de limor. Hier könnt Ihr bis Varenguebec durch die Abgeschiedenheit wandern. Kleiner Wermutstropfen: Ihr müsst die circa 4 Kilometer auf demselben Pfad zurück, denn einmal quer durch den Wald laufen ist nicht: Der ist seit einiger Zeit in Privatbesitz, eingezäunt und bejagt. Als Alternative gibt es einen großen Rundkurs mit 25 Kilometern, der sich für eine Tageswanderung empfiehlt.
Beschaulicher geht es schon auf der Douve oder Ouve zu. Setzt Euer eigenes Kajak hier ein. Der Fluss hat kaum Strömung und ist daher auch für Anfänger geeignet. Leider hat der Kajakverleih, der hier einige Jahre Euch den Einstieg ins Paddelhobby erleichtert hat, mit Ende der Saison 2023 geschlossen.
Wir haben Longuerac immer wieder einmal besucht. Der Artikel ging am 14. März 2023 online. Alle Namensnennung in diesem Artikel sind unbeauftragt und unbezahlt. Alle Links wurden aus voller Überzeugung gesetzt, um Euch ein unverfälschtes Normandie-Erlebnis zu ermöglichen.