Die meisten von Euch kennen Sortosville-en-Beaumont – des leckeren Knusperhäuschens "Maison du Biscuit" wegen. Rund um den dazugehörigen Weiler findet Ihr mehrere Wanderstrecken unterschiedlicher Länge. Wir hatten nur Lust auf einen kleinen Spaziergang und sind daher mit der Karte "frei Schnauze" gelaufen. Auf dem Rundweg könnt Ihr alte Bunker, Windräder, Bocage-Landschaften und einen Brunnen mit überschießender Hortensienpracht entdecken.
Es ist merklich Herbst geworden. Tau benetzt meine Füße und die Pfoten von Idgie und Ben. In allen Ästen und Gräsern hängen fette Spinnweben. Ihre Fäden hängen voller Wassertropfen.
Altweibersommer, Indian Sommer, hat dies in der Normandie einen speziellen Namen? Für den französischen Begriff été de la Saint-Martin – Martinssommer – ist es noch zu früh, auch wenn am Horizont
schon der Winter winkt. Wir starten an einem verlassen Bunker der Deutschen Wehrmacht, auf der Anhöhe vor Sortosville. Eine der vielen Hinterlassenschaften aus der Zeit des Dritten Reichs, die
Ihr auf dem Cotentin überall finden könnt. Stumme Zeitzeugen, stille Mahnung.
Was haben die hier getrieben, auf der rund 145 Meter Hohen Anhöhe, mitten auf dem Cotentin? Die kümmerlichen Überreste des Bunkers gehören zu einer Sendestation, die sehr schnell nach der Besetzung der Normandie durch Deutsche Truppen gebaut wurde. Sie war eine der dreizehn Sendestationen, die für das Knickebein-Funkfeuer errichtet wurden. Bei diesem speziellen Verfahren wurde von zwei Stationen ein Funkstrahl gesendet; dort wo diese sich kreuzten, lag das Abwurfgebiet für die deutschen Bomben. Zwar konnten die Engländer, denen die Angriffe der deutschen Flieger galten, das Verfahren schnell entschlüsseln und stören. Dennoch: In dem ersten Angriff, der von der Anlage in Sortosville aus gelenkt wurde, ging am 14. November 1940 die englische Stadt Coventry unter. Der Terrorangriff zerstörte große Teile der Innenstadt und 75 Prozent der Industrieanlagen. 568 Menschen starben im Bombenhagel. Zerstört wurde auch die mittelalterliche Kirche St Michael’s Cathedral. Bis heute hat sich mein Besuch der Kirchenruine und des Kirchenneubaus tief in meine Seele eingebrannt. Hier, auf dem Cotentin, schließt sich der Kreis. Ein Lost Place, eine Inschrift, namenloses Grauen. Der Platz atmet, wie so viele in der Region, Geschichte und mahnt eindringlich davor, sie endlich ruhen zu lassen. Ein Stückchen Stahlbeton, eines von so vielen in der Normandie, das hoffentlich verhindert, dass Deutschland – und Europa – in die Vergangenheit zurück marschiert.
Gleich nebenan hat die Zukunft Einzug gehalten, wenn auch nur zögerlich: Fünf Windräder drehen sich auf einer der höchsten Anhöhen des Cotentin. Wo einst sicher pittoreske Mühlen Getreide mahlten, wird hier auf französische Art die Energiewende eingeleitet.
Dass dumpfe wump, wump begleitet uns durch die Wallhecken-Landschaft. An mehreren Stellen öffnet der Bewuchs den Blick auf das Tal unter uns und gibt die besondere Geometrie aus Feldern und Hecken frei. Zu hören ist jetzt nichts mehr. Uns begegnen einige Jungrinder auf der Weide und ein alter Bauer, der von Sortosville den Weg durch die Weiden nimmt, eine gebeugte Gestalt, wie ein vom Wind geformter Baum. Wir wählen einen Hohlweg, die Hecken umschließen uns nun ganz und ein Stück lang könnte ich glauben, der einzige Mensch in diesem Teil des Landes zu sein.
Doch dann kündigt sich Zivilisation an: Ein großer Hof. Ein großer Stall. Muhende Kühe. Kuhdung auf dem Weg. Wütendes Hundegebell zur Linken. Ein Bär von einem Schäferhund ist so gar nicht einverstanden mit unserer Route, die uns zur Fontaine Saint-Ortaire führen soll.
Dort erwarten uns eine Schutzhütte, eine Quelle, eine Heiligenstatue. Und eine unvorstellbare Hortensienpracht, mitten im September. Während überall auf dem Cotentin die Blüten nur noch die Farbe Braun zeigen, sind diese an dem geschützten Schattenplatz üppig rosa, blau und weiß. Der Heilige, der über die Blüten wacht, ist Saint Ortaire, ein echter normannischer Heiliger und Heiler, der von 482 bis 580 gelebt und gewirkt hat. Von dieser Oase des Friedens und der Ruhe treten wir den Rückweg – wieder vorbei am Schäferhund-Bären – an. Wir kommen an einer Cidrerie vorbei und winden uns durchs Labyrinth der Feldwege, bis wir wieder am Bunker sind.
Die Tour ist circa 4,5 Kilometer lang und ohne Fotos braucht Ihr gut eine Stunde dafür. Der Weg führt über befestigte und unbefestigte Feldwege und ab und an über Gemeindeverbindungsstraßen, die so gut wie nicht befahren sind. Zwischendrin gibt es Abschnitte fernab der Straßen, wo Euer Hund auch frei laufen kann. Der Rundkurs ist leicht begehbar und ohne größere Steigung. Der kleine Spaziergang ist nicht sonderlich spektakulär, aber wer ohnehin auf Shopping-Tour in Sortosville ist, der kann hier bereits angefressene Kalorien wieder ein bisschen in die normannische Landschaft werfen. Geschichtsfreaks sollten sich einen Besuch des Bunkers, der auf der Liste der historischen Monumente steht, nicht entgehen lassen. Die Anfahrt erfolgt über die D 902 von Barneville-Carteret nach Sortosville-en-Beaumont, auf Höhe von Les Motees geht es rechts weg zum "Fort Allemand"; einfach der Beschilderung folgen.
Veröffentlicht am 15. September 2018. Stand der Informationen: 15. September 2018
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