Rund 75 Kilometer östlich vom Mont-Saint-Michel entfernt liegt das Städtchen Domfront in der Orne. Es hat einen mittelalterlichen Stadtkern und darf sich unter anderem mit den Labels Plus Beau Détour de France und Petite Cité de Caractère schmücken. Ich habe zusammen mit Idgie und Ben eine kurze Stippvisite unternommen und mir das Städtchen angeschaut.
Schon beim Überfahren der Grenze von der Manche zur Orne merkt Ihr: Ab hier wird es anders! Statt Steinhäusern dominieren in diesem Teil der Normandie Fachwerkhäuser. Es gibt sehr viel Obstbäume, vor allem Birnen, denn der hier hergestellte Calvados hat einen hohen Birnenanteil. Es existieren strenge Vergaberegeln, um das geschützte Herkunftszeichen Le Calvados Domfrontais A.O.C. zu erhalten. Das war Mitte des letzten Jahrhunderts noch anders, da wurde der meiste Calvados noch schwarz gebrannt und im Schutz der Nacht zum Abnehmer geschmuggelt. Aber wir sind ja nicht wegen des Alkoholschmuggels gekommen, sondern wegen des Städtchens.
Da es noch April ist und überdies Montag (habe ich schon mal geschrieben, dass montags viel bis alles in der Normandie geschlossen ist?) ist es kein Problem, in der Innenstadt einen Parkplatz zu bekommen. Das mag in der Saison und am Wochenende ganz anders aussehen. Wir parken also mitten in der Stadt und lassen uns durch die mittelalterlichen Gässchen und hübsche Hinterhöfe treiben. Um es vorweg zu nehmen: Die Stadt verströmt wirklich sehr viel Charme, auch wenn an manchen Häusern im wahrsten Sinne des Wortes der Lack ab ist. Aber auch das ist eben Normandie, und Ihr wisst ja, Marodes liebe ich. Zwei Gebäude sind in der Stadt besonders auffällig: Die Schlossruine und die Kirche.
Im Grunde genommen ist vom Schloss nicht viel übrig. Aber die Reste der wuchtigen Steinmauern erzählen Euch von den wohl einst gewaltigen Ausmaßen der Anlage mit ihren Türmen, Stadtmauern und zwei Kapellen. Die erste Festung entstand bereits zwischen 1010 und 1020 und befand sich im Besitz von Wilhelm I. von Bellême. Ich werde mich auf keinen Geschichtsexkurs begeben, nur so viel: Das Schloss hatte eine durchaus hehre Besitzerschaft, die eng mit der normannischen Geschichte verknüpft ist. Wilhelm der Eroberer konnte es einnehmen. Sein Sohn Henry I. Beauclerc bekam gar die Anlage von den Bewohnern Domfronts übertragen. Munter wechselten durch die Jahrhunderte die Besitzrechte bis Maximilien de Béthune, Herzog von Sully 1608 die Zerstörung der Anlage anordnete. Die Ruinen stehen seit 1875 unter Denkmalschutz und seit 1984 kümmert sich ein Verein um den Wiederaufbau der Burg. Rund um die Ruine findet Ihr einen kleinen Park, perfekt um die Hunde schnüffeln zu lassen und ein wenig auszuspannen. Und auch wenn die Anlage beeindruckend ist: Am tollsten fand ich das Pförtnerhäuschen rechts vom Eingang! Die Ruine könnt Ihr (mit Hund) ganzjährig bei freiem Eintritt besichtigen.
Schloss und Stadt sind uralt, aber mitten im Ort werdet Ihr über eine ungewöhnliche Kirche stolpern, die so gar nicht ins mittelalterliche Stadtbild passen will. Wuchtig erhebt sich der Kirchturm über die kleinen Gassen und entpuppt sich als Beton, in schönster Brutalisme-Anmutung gepaart mit Art-Déco-Elementen. Fiel die alte Kirche, wie so viele historische Gebäude der Normandie, dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer? Weit gefehlt! Die erste Église Saint Julien wurde im Mittelalter errichtet, die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem 12. Jahrhundert. Da der Sakralbau zu klein war, wurde er 1744 durch ein größeres Gebäude ersetzt. Dann kam die französische Revolution und die Kirche wurde als Futterlager genutzt und erst 1796 zur Nutzung an die Kirche zurückgegeben. Indes: Der Zustand der Kirche verschlechterte sich zusehends. Zum Dach regnete es rein und der einst stolze Kirchturm wurde beim Glockenläuten in Schwingung versetzt. Schon im Jahr 1903 wollten die Stadtoberhäupter einen neuen Kirchenbau errichten lassen, doch der Entwurf des Architekten missfiel und schließlich setzten Säkularisierung und Erster Weltkrieg dem Projekt ein Ende. 1923 schließlich traf ein schrecklicher Hurrikan die Stadt, zerstörte das Dach vollends, woraufhin sich auch das Mauerwerk zersetzte. Zum Teil saßen die Gläubigen mit aufgespannten Schirmen im Gottesdienst, weil sich wahre Wasserfälle durchs Dach ergossen. Der Neubau der Kirche wurde zu einem Gemeinschaftswerk, der Stadtrat beteiligte sich, die Bürger und die Kirche. Grundsteinlegung war 1924, die Weihe 1933. Dass Ihr hier Anklänge an den Brutalisme aus der Zeit der Rekonstruktion findet, ist indes kein Zufall: Architekt war Albert Guilbert (1866-1949), ein Wegbegleiter von Auguste Perret, der nach dem Zweiten Weltkrieg die moderne Stadt Le Havre ersann. Das ungewöhnliche Bauwerk ist seit 1993 ein Monument Historique und gilt als Kulturerbe des 20. Jahrhunderts.
Wenn Ihr schon mal da seid – schaut Euch die Umgebung an. Denn rund um Domfront gibt es einiges zu entdecken:
Euren Besuch könnt Ihr mit folgenden Veranstaltungen kombinieren, die legendär sind:
Domfront hat durchaus seinen Reiz und kann gut zusammen mit Hund besichtigt werden. Gerade wenn Ihr sonst in der Manche Urlaub macht, wird Euch überraschen wie anders die Normandie hier doch ist. Für den Stadtrundgang solltet Ihr mit 1,5 Stunden rechnen, mit dem Innerem der Kirche, was ich mir der Hunde wegen gespart habe, auch 2. Zusammen mit anderen Sehenswürdigkeiten rund ums Städtchen wird ein schöner, abwechslungsreicher Tagesausflug daraus. Für die Anfahrt solltet Ihr von
einplanen.
Hinweis: Wir haben Domfront am 1. April 2019 besucht, der Artikel ging am 7. Juni 2019 online.