Denkt Ihr bei botanischem Garten an ordentliche Beete, geharkte Flächen, unglaublich viel verbreitetes Fachwissen, gestrenge Parkwächter? Dann vergesst alles, was Ihr so über botanische Gärten zu wissen glaubt und besucht den botanischen Garten in Vauville. Okay: Außerordentliches Fachwissen und eine unendliche Zahl an Pflanzen, von denen Ihr nur selten etwas gehört oder gesehen habt, das gibt es hier auch. Ansonsten habt Ihr das Gefühl, mitten an der Westküste der Manche ein kleines Stück Garten Eden gefunden zu haben, in ein undurchdringliches Labyrinth gestolpert zu sein (in der Tat findet sich der Ausgang aus unterschiedlichen Gründen nur schwer).
Ein Ort der Geheimnisse. Ein Flüstern im Wind. Die Zärtlichkeit der Palmen. Wir sind eingetaucht in eine andere Welt, mitten auf dem Cotentin, der als rau, kalt, regnerisch und auch ein bisschen unwirtlich gilt. Irgendwo plätschert ein Bach mit leichtem Gurgeln. Das Meer, nur wenige hundert Meter entfernt, stimmt rauschend ein. Dazwischen: nichts. Nur Grün, das in alle Richtungen wächst, wabert, wuchert, sich gen Himmel streckt. Ein schmaler Pfad, der wie zufällig zwischen Farn und Hortensien hindurch führt.
Und doch ist nichts absichtslos im Botanischen Garten in Vauville. Was wirkt wie ein echter Urwald der südlichen Hemisphäre ist durchdacht, gepflanzt, geordnet und von schöpferischer Hand angelegt, gepflegt und gehegt.
Heute umfasst der Botanische Garten 5 Hektar. Angelegt hat ihn 1948 Eric Pellerin, der Herr über Schloss und Wiesen in Vauville. Trotzig pflanzte er eine Zypresse in auf eine vom Westwind verdroschene Kuhweide, die von einem kleinen Bach gespeist wurde und startete ein Abenteuer. Im Laufe der Zeit akklimatisierte der Weltreisende weitere Pflanzen von der Südhalbkugel – auf einer Tafel im Garten könnt Ihr die Entstehungsgeschichte nachverfolgen.
Es war ein Glücksfall, dass sowohl Sohn Guillaume als auch Schwiegertochter Cléophée de Turckheim die Leidenschaft für die Poesie des Gartens teilten, ihn weiter wachsen ließen und ihm zu internationalem Renommee verhalfen. Nach dem Tod Guillaumes haben 2017 sein Sohn Eric Pellerin (der gleichermaßen der Welt der Pflanzen wie des Kinos verfallen ist) und Guilaume de Lestrange das Heft in die Hand genommen. Die Liebe, die seit drei Generationen in diesem Stückchen Land oberhalb der Küste von Vauville steckt, könnt Ihr mit jeder Faser spüren. Sehen. Riechen. Hören.
Etwas Zeit solltet Ihr dafür mitbringen, nicht nur den Wegen folgen und staunen. Sondern verweilen, eins werden mit Amaryllis, Palmen, Farnen, Aloen, Eukalypten, Zedern, Ginkgos. Alle Arten hier aufzuzählen würden diesen Artikel sprengen – es sind weit über 1.000. Riesige Rhododendren gedeihen neben Azaleen und Hortensien, Zistrosen und Königsfarn. Der Garten ist in verschiedene Themenbereiche aufgeteilt, die jeweils einen unterschiedlichen Schwerpunkt und Charakter haben. Mal sind es üppige Palmen, mal ein Flusslauf, dann wieder eine kontemplative Stimmung, die Euch gefangen halten. Ich empfehle Euch übrigens, beim ersten Durchgang der Beschilderung zu folgen, denn die Gartenbauer haben sich bei der Anlage der Wege durchaus etwas gedacht.
Mitten drin im Gewirr liegt der Château; seine ältesten Teile stammen aus dem 12. Jahrhundert. Das Schloss selbst ist nicht zu besichtigen, bietet aber auch von außen einen imposanten Anblick.
Ich habe den Jardin Botanique de Vauville am 7. Juli 2021 besucht und mein Eintrittsgeld selbst entrichtet. Für diesen Bericht wurde kein Honorar gezahlt und er spiegelt einzig und alleine meine persönliche Meinung wider.
Meine Hunde waren selbstverständlich die gesamte Zeit angeleint. Auf den Fotos habe ich Strick- und Tauwerk wegretuschiert :-)
Der Artikel ging im August 2021 online.
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