Städtetouren mit Hund sind ja immer etwas problematisch. Nicht jeder Hund kommt gut mit Straßenlärm, Menschenmassen und Betonwüsten klar und ganz große Städte sind zudem mit so vielen Restriktionen für Hundehalter zugepflastert, dass der Besuch auch keinen Spaß macht. Le Havre wollte ich aber unbedingt sehen, und deshalb mussten auch die Hunde mit.
Mit rund 172.000 Einwohnern ist Le Havre die größte Stadt der Normandie; der Hafen ist nach Marseille der zweitgrößte Frankreichs. Bekannt ist Le Havre als Wiege des Impressionismus – und wegen der totalen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Die Nazis hatten während der Besatzung Le Havre zu einer mächtigen deutschen Garnison ausgebaut, bis zu 40.000 Mann waren an der Seine-Mündung stationiert. Im Juni 1944 landeten die Alliierten an den Stränden des Calvados und der Manche, Paris wurde im August befreit. Le Havre war Anfang September noch in der Hand der Deutschen, die die Bevölkerung über vier Jahre hinweg terrorisiert hatten. Am 3. September schlugen die Alliierten eine Übergabe vor, doch die Nazi-Kommandeure lehnten ab. Daraufhin wurde die Stadt von den Briten umzingelt und bombardiert. Am Ende dieses Gemetzels stand vom historischen Stadtkern Le Havres nichts mehr. Von den 160.000 Einwohnern wurden über 5.000 getötet, 80.000 waren obdachlos. Nur Asche, Staub und Ruinen waren übrig. Wie Phönix aus der Asche sollte die Stadt wieder auferstehen. So wurde der Architekt Auguste Perret mit dem Wiederaufbau betraut.
Zeit lassen konnte man sich nicht: Die Bewohner brauchtren ein Dach über dem Kopf. Auguste Perret und sein Team entwarfen daher auf dem Grundriss der untergegangenen Stadt Le Havre völlig neu, auf dem Reißbrett quasi. Und bis heute kann man spüren, dass das Architektenteam für diese neue, die moderne, die ideale Stadt gebrannt hat. Sein Werkstoff: Beton. Seine Mission: Den Bewohnern der Stadt Lebensqualität zurück geben, ihnen Licht, Luft und Sonne in die Wohnräume zu holen. Viele der modernen Bauten, wie zum Beispiel das Rathaus und die Kirche Saint-Jospeh setzen moderne Ausrufezeichen an den Stellen der zerstörten Gebäude. Zu dieser Symphonie aus Beton kamen auch später noch moderne Bauwerke, etwa Oscar Niemeyers "Le Volcan", der die stringente Linienführung Perrets mit seinen geschwungenen Formen konterkariert. Seit 2005 steht das Innenstadtensemble auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes.
Le Havre entpuppt sich bei unserem Besuch trotz der Größe und aller Modernität als überraschend entspannt. Überall sitzen Menschen in den Straßencafés und in den Bars. In den Arkaden der modernen Häuserfluchten sind kleine Lebensmittelgeschäfte oder auch Galerien untergebracht. Mitten im Stadtzentrum, im Basssin du Commerce, unternehmen Schüler ihre ersten Segelversuche. Auf verschiedenen Rundwegen können Sie die Stadt erkunden. Entlang der Strandpromenade werden wir auf eine Hundespur aufmerksam:
Idgie und Ben sind nur mäßig begeistert von der Hundespur, denn auf der anderen Seite des Gehwegs riecht es nach Meer (und mehr), da ist es deutlich interessanter. Tatsächlich war der Rinnsal neben dem Gehweg ursprünglich dafür gedacht, dass sich die Großstadthunde hier lösen sollten. Heute ist das nicht mehr nötig, denn Le Havre verfügt über ein wirklich dichtes Netz an gut gefüllten Kotbeutelspendern – die über 200 Standorte können sogar über die Internetseite der Stadt abgefragt werden.
Wir haben uns bei unserem Besuch in Le Havre einfach durch die Stadt treiben lassen und haben die Atmosphäre eingesogen. Das war auch total unkompliziert mit Hund möglich. Mehrere ausgeschilderte Spazierwege führen durch die Stadt. Lediglich in die Gebäude haben wir sie nicht mit rein genommen. Die Kirche Saint Joseph, monumentales Wahrzeichen des modernen Le Havres, lohnt auf jeden Fall einen Besuch, schon wegen des Farbenspiels und der faszinierenden Architektur wegen.
Zudem ist Le Havre eine wirklich grüne Stadt, trotz all des Betons. Überall sprießt zwischen dem grauen Stein etwas Grünes oder Blühendes hervor, sind Parks, Gärten und Wälder zu entdecken. Pro Einwohner hat Le Havre 37 Hektar Grünfläche zu bieten. Hunde dürfen überall mit – nur in die Hängenden Gärten, les Jardins Suspendus, dürfen die Vierbeiner nicht rein. Das lässt sich locker verschmerzen, da genügend andere Flächen zur Vergfügung stehen, sogar mitten im Zentrum, am Rathaus, ist ein kleiner und feiner Park angelegt. Ein Tag in Le Havre ist viel zu wenig, und so werden wir sicher noch öfter wiederkomen, denn Le Havre ist – überraschend anders, inspirierend, modern und ziemlich cool.
Extratipp: Die Veranstaltung Un Éte au Havre, die ursprünglich für das Stadtjubiläum konzipert worden war, ist mittlerweile zu einer festen Institution geworden und findet jedes Jahr im Sommer statt.
Hinweis: Wir haben Le Havre im Oktober 2017 besucht, der Artikel ging ebenfalls im Oktober 2017 online. Letzte Aktualisierung: Oktober 2019