Am Cap de La Hague ist die Welt sprichwörtlich zu Ende. Der raue Wind pfeift um die Felsen und Euch ins Gesicht. Eine einzigartige Naturlandschaft, von unglaublicher Intensität. Ihr könnt dieses Eck der Normandie auf der Route des Caps kennenlernen. Oder besser zu Fuß. Eine Möglichkeit: Der Sentier du Poete, der dem Dichter Jacques Prévert gewidmet ist.
Rund 16 Kilometer lang ist dieser Wanderweg, eine gewisse Grundkondition solltet Ihr also mitbringen. Und genug Zeit, denn unterwegs lädt einiges zum Verweilen und Schauen ein. Oder einfach zum
Sitzenbleiben. Und aufs Meer schauen. Nicht umsonst hat dieser letzte Zipfel des Cotentin immer wieder Dichter und Schriftsteller magisch angezogen. Jacques Prévert ist nur einer davon. Boris
Vian ("Der Schaum der Tage") verbrachte als Jugendlicher die Ferien in einem Ferienhaus seiner Familie bei Landemer. Der Schriftsteller und Drehbuchautor Didier Decoin lebt seit 1977 in
seinem Haus in Auderville. Die Region hat unter anderem Claudie Gallay zu ihrem Roman "Die Brandungswelle" inspiriert und Filmemacher wie François Truffaut nutzten die wilde Landschaft als
Filmkulisse. Ein gutes Stück Erde für Kreative – auch für den Maler Jean-François Millet und den Schriftsteller Jacques Prévert, der hier seine letzten Lebensjahre verbrachte.
Jacques Prévert ist Frankreich sehr bekannt, vor allem seine Gedichte werden auch heute noch in den Schulen gelesen. Euch sagt der Name nichts? Das ist nicht schlimm, auch an mir war sein Schaffen vorbei gegangen. Es lohnt aber, einige Blicke in seine Biografie zu werfen, und ich bin fast sicher, dass Ihr beim Lesen einen "ach-der-war-das"-Moment habt.
Jacques Prévert wurde am 4. Februar 1900 in Neuilly-sur-Seine geboren. Mit dem 1946 veröffentlichten Gedichtband Paroles avancierte er zu einem der einflussreichsten Lyriker seiner Zeit. Viele seiner Gedichte wurden als Chansons vertont. Eine ungewöhnliche Karriere legte dabei der Song "Les Feuilles mortes" hin, der im Original von Yves Montand gesungen wurde: In der englischen Version "Automn Leaves" wurde er zum Nummer-eins-Hit und Jazzstandard – der mittlerweile von fast vielen Musikern mit Rang und Namen interpretiert wurde.
Klingelt es noch nicht? Prévert verfasste auch zahlreiche Drehbücher, und vor allem die Zusammenarbeit mit den Regisseur Marcel Carné gestaltete sich fruchtbar. Carné gilt neben Jean Renoir als
wichtigster Vertreter des Poetischen Realismus. Prévert schrieb unter anderem die Plots zu Klassikern der französischen Filmgeschichte wie "Ein sonderbarer Fall" (Drôle de drame), "Hafen
im Nebel "(Le Quai des brumes, spielt mit Jean Gabin in der Hauptrolle in Le Havre), "Der Tag bricht an" (Le Jour se lève, gilt heute als Wegbereiter des amerikanischen Film noir),
"Pforten der Nacht" (Les Portes de la nuit) und "Die Marie vom Hafen" (La Marie du port, nach dem Roman von Georges Simenon, spielt in Port-en-Bessin). Und auch zu dem Film
"Kinder des Olymp" (Les Enfants du Paradis), bis heute einer der besten Filme aller Zeiten, lieferte der Dichter das Skript.
Den Nord-Cotentin hat Jacques Prévert seit den 1930er-Jahren immer wieder besucht – er liebte dieses Ende der Welt. 1971 siedelte er zusammen mit seiner Frau in das Haus in Omonville-la-Petite und lebte dort bis zu seinem Tod am 11. April 1977. Er ist in Omonville auf dem Friedhof begraben. Sein Wohnhaus und der dazugehörige Garten können besichtigt werden – aber dazu mehr während der Wanderung.
Ihr müsste weder Lyriker, noch Jazzer oder Cineasten sein, um die Wanderung zu genießen. Ganz ehrlich: wir haben sie auch hauptsächlich wegen der Landschaft gemacht und waren ziemlich unbeleckt, was den literarischen Kontext anbelangt.
Geparkt haben wir auf einem ziemlich großen Parkplatz direkt am Meer unterhalb der D45. Am einfachsten findet Ihr den mit dem Navi (49.710304, -1.868227). Von da aus müsst Ihr ein kleines Stück den Strand entlang laufen, bis Ihr zum eigentlichen Wanderweg komm, der Euch links hoch wieder zur Straße führt. Der kleine Ort oberhalb der Küstenlinie Hameau és Fours empfängt Euch mit netten Steinhäuschen. Nach einem kurzen Abstecher entlang der Straße dürft Ihr in ein kleines Sträßchen Richtung Les Vallées abbiegen. Nach nur ein paar Schritten erwartet Euch ein verzaubertes kleines Manoir mit Türmchen, Erkerchen und mächtigem Torbogen. Im Weiler Les Vallées scheint ebenfalls die Zeit stehen geblieben zu sein, wildromantisch schmiegen sich die normannischen Häuser ins Tal, Hortensien und Geranien blühen überall. Es geht ein bisschen den Hang hinauf, immer mit Blick auf das am Horizont glänzende, schimmernde Meer. Schließlich führt Euch der Weg einen Pfad hinauf Richtung Mont Clin. Das ist kurz steil, dafür auch autofrei!
Weiter geht es über Pfade, Feldwege und Gemeindeverbindungswege. Und durch die Landschaft mit Steinwällen, Holztoren, Viehweiden, kleine Dörfchen, nicht zu unrecht "Kleines Irland" genannt. Auf den Feldern herrscht zur Erntezeit Rush Hour, manche Landwirte dreschen mit einer Geschwindigkeit, die innerorts geblitzt würde. Und auf einmal sind wir da, in Le Val, am Haus des Dichters. Beim Maison Jacques Prévert. Ihr könnt es nicht verfehlen, denn schon ein zaghafter Blick über das Mäuerchen in den Garten sagt WOW! Muss ich sehen!
Geliebt hat Jacques Prévert ihn, seinen Garten. Und in der Tat ist es eine grüne Oase, die aus der Zeit gefallen zu sein scheint, mit schattenspendenen Bäumen und wuchernden Stauden. So grün, so ruhig und so friedlich. Dazwischen kuschelt sich das Wohnhaus, mittlerweile ein Museum. Im Garten dürft Ihr mit Euren Hunden verweilen, der Museumsbesuch bleibt Euren Vierbeinern allerdings verwehrt. (Natürlich ist das vernünftig, aber auf ganz vielen Bildern ist der Poet mit Hund oder Katze zu sehen. Er hätte Euch also bestimmt zusammen reingelassen!)
Aber dafür gibt es wieder viel Landschaft, wenn Ihr Euren Weg fortsetzt. Das erste Heidekraut blüht, das Meer in der Ferne steuert einen kräftigen Türkiston bei. Zwischen Le Val und Saint-Germain-des-Vaux lockt ein Picknick-Platz für eine Pause. Seid Ihr mittlerweile akklimatisiert? Kein Franzosen lässt sich die Mittagspause auf einem schönen Platz entgehen. Also, raus mit dem Proviant!
Von hier aus gäbe es auch für die weniger geübten Wanderer unter Euch die Möglichkeit, raffiniert abzukürzen, denn wenn Ihr vom Picknickplatz den Schotterweg hinunter zum Meer lauft, kommt Ihr in der Nähe des Port Racine raus. Unterwegs könnt Ihr noch den privaten "Jardin en Hommage a Jacques Prévert" mitnehmen. Insgesamt spart Ihr Euch so rund die Hälfte der Wegstrecke.
Allerdings ist auch die nördliche Schleife sehr schön und verlockend. Kurz vor Saint-Germain-des-Vaux liegt auf der Höhe eine Kirche, die einen Abstecher lohnt. Von hier oben, dem romantischen Friedhof rund um die Kirche aus dem 13. und 17. Jahrhundert, habt Ihr eine fantastische Sicht in alle Himmelsrichtungen.
Von der Kirche sind es nur noch wenige Wanderminuten bis nach Saint-Germain-des-Vaux. Der kleine Ort mit seinen Steinhäusern hat mich schon immer begeistert, wenn ich die Route des Caps gefahren bin. Zu Fuß aber erst entfaltet er seine volle Schönheit mit einer ungeheuren Blumenpracht – in machen Höfen könnt Ihr ein Meer an Hortensien bewundern. Und nicht nur das: In der Ortsmittel befindet sich die kleine Bar La Racine, hier könnt Ihr einen Boxenstopp einlegen – eine kleine Stärkung kommt in diesem Moment genau richtig, bevor Ihr Euch die Küste entlang auf den Rückweg macht.
Folgt nun Eurem Instinkt quer durchs Weideland ans Meer (die Ausschilderung ist hier etwas spärlich. Kurz vor Ortsende müsst Ihr rechts abbiegen und der Rue de Bas folgen und dann wieder links laufen). Bald werdet Ihr auf den Fernwanderweg der Küste entlang treffen und könnt diesem folgen, bis Ihr wieder an Eurem Auto seid. Vor allem an warmen Tagen kommt die frische Brise von der See jetzt gerade recht. Ich hasse ja diesen Vergleich, aber: Die Landschaft erinnert mit ihren zum Teil bizarren Felsformationen und kleinen Buchten manchmal ein bisschen an die Bretagne. Und Eure Hunde können hier frei laufen (sofern sie keine Spaziergänger belästigen) oder auch mal über ein freies Feld toben. Perfekt!
Nehmt Euch unterwegs Zeit für den Port Racine, der sich mit dem Titel Frankreichs kleinster Hafen schmückt. Der Name geht übrigens auf den Freibeuterkapitän François-Médard Racine (1774-1817) zurück. Die Boote sind eher kleine Nussschalen und bilden zusammen mit dem Hafenmäuerchen ein pittoreskes Ensemble. Ich muss jedes Mal, wenn ich hier vorbei komme, wenigstens ein paar Fotos machen.Der restliche Wanderweg führt Euch zuerst ein Stück über die Straße und dann den Strand entlang. Der allerdings ist hier ein Kieselstrand, nicht alle Hunde mögen das und festes Schuhwerk für Euch ist empfehlenswert (es geht aber auch in Wandersandalen :-) ). Das ist aber wirklich der einzige Wermutstropfen auf dieser großartigen Wanderung!
Nach meinem Geschmack ist der Sentier du Poète wirklich eine der schönsten Rundwanderungen auf dem Cotentin, weil es so viel unterschiedliche Dinge zu sehen gibt und die Landschaft mit ihren Reizen klotzt und nicht kleckert. Die Wegstrecke misst 15,7 Kilometer und die reine Laufzeit beträgt 4,5 Stunden. Plant noch mal gut anderthalb Stunden für Foto-, Ess- und Trinkpausen ein und genießt den Weg in vollen Zügen, es lohnt sich! (Und sorry an dieser Stelle an meine Mitwanderer fürs permanente "Bremsen"!)
Wie so oft auf dem Cotentin: Eine schöne, konsequente und vor allem durchgängige Ausschilderung fehlt leider! Einen Teil des Weges könnt Ihr Euch aber auf die gelben Baken verlassen :-). An der Küste entlang folgt Ihr der Beschilderung Sentier du Littoral, bis Ihr wieder am Auto seid.
Des Kieselstrandes wegen solltet Ihr vorher wissen, ob Euer Hund das mitmacht und dieser Wegabschnitt ist leider auch nicht mit einem Hundebuggy zu bewältigen. Dafür gibt es auf dem gesamten Wanderweg erstaunlicherweise 160 Höhenmeter, die zwischendrin bewältigt werden wollen. Der einzig wirkliche Anstieg befindet sich aber zum Mont Clin. Ansonsten braucht Ihr lediglich eine gute Grundkondition.
Ich empfehle Euch, die Wanderung von April bis Oktober zu machen. Im Winter könnte der Weg zum Mont Clin sehr schlecht begehbar sein. In diesem Fall könnt Ihr aber auch der Straße entlang nach Omonville-La-Petite und weiter nach Le Val bis zum Maison Prévert laufen.
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Maison Jacques Prévert, 3 Hameau du Val, Omonville-la-Petite, 50440 La Hague. Geöffnet April, Mai (außer 1. Mai) Frühjahrsferien und Herbstferien von 14-18 Uhr, Juni & September 11-18, Juli & August 11-19 Uhr. Der Eintritt zum Garten ist frei, das Museum könnt Ihr nicht mit Hund besuchen und kostet 5 Euro für Erwachsene, 2,50 Euro für Kinder. Wenn Ihr nicht zu Fuß kommt, müsst Ihr das Auto an der Kirche parken.
Jardin en Hommage a Jacques Prévert liegt auf halbem Weg Eurer Wanderung zwischen einem Parkplatz mit Picknick-Platz und dem Port Racine im Vallée du Moulins. Angelegt wurde er in den 1980er Jahren von Freunden und Familie des Dichters mit Pflanzen, die der Dichter liebte. Geöffnet ist von Ostern bis 1. Oktober, täglich außer Freitag 14-19 Uhr, Juli und August ab 10 Uhr. Der Eintritt kostet 5 Euro. Wenn Ihr mit dem Auto kommt, könnt Ihr am oberen Parkplatz (49.704836, -1.906579) oder auf dem Parkplatz des Port Racine Euer Fahrzeug abstellen. Laut Manche-Tourisme sind Hunde erlaubt (getestet habe ich es noch nicht).
Bar-Restaurant Le Racine: Geöffnet ist Dienstag bis Donnerstag 9-14 und 17-20 Uhr, Freitag 9-14 und 17-21 Uhr, Samstag 10-12 Uhr, Sonntag 9-20 Uhr
Mehr Details zur Wanderung findet Ihr unten im Downloadbereich, in dem ich das gpx-File, Karte und Beschreibung für Euch bereit gestellt habe. Dieser Service ist fördernden Mitgliedern vorbehalten.
Hinweis: Die Wanderung habe ich Anfang Juli 2019 gemacht, der Artikel ging am 8. März 2020 online. Die Links dienen Eurer persönlichen Information, ich erhalte kein Geld dafür.
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